Medienmitteilung

Tempolimit für Schiffe – damit Finnwale und Pottwale im NW-Mittelmeer überleben

08. Juli 2024
  • Nur bei Geschwindigkeiten unter 10 Knoten kann das Risiko von Schiffskollisionen mit tödlichen Folgen für gefährdete Wale in Gebieten wie der IMO-Meeresschutzzone (PSSA) im nordwestlichen Mittelmeer vermieden werden, da dort eine Verlegung der Schiffsrouten nicht in Frage kommt.
  • Eine Verkehrsdatenanalyse von OceanCare und Quiet-Oceans zeigt, dass 80 Prozent der von Handelsschiffen zurückgelegten Strecken im untersuchten Gebiet in 2023 mit einem Tempo über 10 Knoten zurückgelegt worden sind. Insbesondere die Roll-on-Roll-off-Fähren, mit einer Gesamtstrecke von über 10 Millionen Kilometern, fuhren auf mehr als 90 Prozent ihrer Strecken mit einer höheren Geschwindigkeit.
  • OceanCare und ihre Partnerorganisationen fordern die spanische Regierung auf, eine verbindliche Geschwindigkeitsbegrenzung für Schiffe in den zukünftigen Managementplan für das Meeresschutzgebiet „Cetacean Migration Corridor“, das Teil des PSSA ist, aufzunehmen.

Eine neue Analyse von Schiffsverkehrsdaten, die OceanCare und Quiet-Oceans heute vorgestellt haben, zeigt, dass Handelsschiffe mehr als 80 Prozent ihrer Fahrten im nordwestlichen Mittelmeer im Jahr 2023 mit einer Geschwindigkeit von über 10 Knoten zurückgelegt haben. Das untersuchte Gebiet wurde von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) bis 2023 als besonders empfindliches Meeresgebiet (Particularly Sensitive Sea Area, PSSA) ausgewiesen, um das Risiko von Kollisionen mit tödlichen Folgen für Finn- und Pottwale zu verringern.

„Ein verpflichtendes Tempolimit ist die einzige wirksame Massnahme, um den Schiffsverkehr in stark befahrenen Meeresregionen, wo die Verlegung der Schiffsrouten keine Option ist, mit dem Schutz der Grosswale in Einklang zu bringen,“ sagt Carlos Bravo, Sprecher von OceanCare in Spanien. „Rechtlich bindende Massnahmen zur Geschwindigkeitsreduzierung schaffen gleiche Bedingungen für alle Reedereien und vermeiden Wettbewerbsverzerrungen zwischen denjenigen, die bereit sind, die Geschwindigkeit zum Schutz der Wale zu reduzieren, und denjenigen, die dies nicht tun.“

Wissenschaftliche Daten zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Kollision mit tödlichen Folgen für einen Wal sehr gering ist, wenn ein Schiff nicht schneller fährt als zehn Knoten. Die Verkehrsdatenanalyse von OceanCare und Quiet-Oceans enthält Details zu den Geschwindigkeitsbereichen je nach Entfernung für den gesamten Schiffsverkehr, aufgeschlüsselt nach Schiffskategorien und zeigt insbesondere folgende Erkenntnisse:

57 Prozent der Gesamtstrecke von 48 Millionen Kilometern, die alle Schiffe im PSSA im Jahr 2023 zurücklegten, lagen im Geschwindigkeitsbereich über 10 Knoten.

Nur 15 Prozent der insgesamt 27,8 Kilometer, die von Handelsschiffen zurückgelegt werden, liegen im „sicheren“ Bereich unter 10 Knoten.

Am intensivsten nutzen Roll-on-Roll-off-Fähren das PSSA, mit insgesamt mehr als 10 Millionen gefahrenen Kilometern im Jahr 2023, von denen mehr als 90 Prozent mit einer Geschwindigkeit von mehr als 10 Knoten und fast 30 Prozent mit einer Geschwindigkeit von mehr als 20 Knoten zurückgelegt wurden.

Im nordwestlichen Mittelmeer leben Finnwale und Pottwale, zwei Unterpopulationen im Mittelmeer, die auf der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN als stark gefährdet eingestuft sind. Schiffskollisionen sind die Hauptursache für durch Menschen herbeigeführten Tod dieser Wale. Aufgrund ihrer geringen Reproduktionsrate ist es überaus wichtig, tödliche Kollisionen zu vermeiden, um die gefährdeten Walarten vor dem Aussterben zu schützen.

„Die Daten, die wir verarbeitet haben, zeigen ein klares Verständnis des Problems und wir wissen, was getan werden muss, um zu verhindern, dass diese erstaunlichen Kreaturen von Schiffen gerammt werden,“ so Thomas Folegot, Präsident und CEO von Quiet Oceans. „Eine Anpassung der Schifffahrtsrouten ist in diesem speziellen Gebiet keine Option zur Risikominderung, da die Wale das gesamte Gebiet zufällig nutzen und ihre Anwesenheit schwer vorherzusagen ist.“

„Eine Reduzierung der Schiffsgeschwindigkeit ist in vielerlei Hinsicht positiv,“ so Folegot weiter. „Sie verringert das Risiko von Zusammenstössen mit Walen, reduziert aber auch den Unterwasserlärm, der eine zusätzliche Bedrohung für diese erstaunlichen Säugetiere darstellt.“

Spanien hat eine Vorreiterrolle beim Schutz der Wale in der Region übernommen und die Gewässer zwischen den Balearen und dem spanischen Festland als Meeresschutzgebiet (Marine Protected Area, MPA) ausgewiesen. Damit ist die Regierung verpflichtet, für dieses Gebiet, das auch als Wanderkorridor für Wale und Delfine bekannt ist, einen Managementplan zu erstellen, der menschliche Aktivitäten, die das Schutzziel des MPA gefährden, wirksam reguliert. Dieses Ziel besteht darin, zahlreichen bedrohten Arten wie Finn- und Pottwalen sichere Nahrungs-, Ruhe- und Wanderungshabitate zu bieten.

OceanCare und neun weitere Umweltorganisationen (Alnitak, ClientEarth, Ecologistas en Acción, GOB Mallorca, Greenpeace, Marilles, Oceana, Save The Med, WWF) fordern die spanische Regierung auf, ein verbindliches Tempolimit für Schiffe in den Managementplan aufzunehmen. Mit dieser Massnahme könnte Spanien ein international relevantes Beispiel für eine nachhaltige maritime Entwicklung setzen und den Schutz der Wale im nordwestlichen Mittelmeer positiv beeinflussen.

Vor einem Monat, am Welttag der Ozeane 2024, lancierte OceanCare die internationale Petition „Because Our Planet Is Blue“ an die Staats- und Regierungschefs der Welt mit sechs Aktionspunkten für einen wirksamen Meeresschutz. Unter anderem fordert die Initiative von den Regierungen verbindliche Massnahmen zur Reduktion der Schiffsgeschwindigkeiten.

 

Hintergrund

OceanCare hatte sich dafür engagiert, dass das nordwestliche Mittelmeer von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) als besonders empfindliches Meeresgebiet (Particularly Sensitive Sea Area, PSSA) ausgewiesen wird. Das PSSA wurde im Juli 2023 verabschiedet und trat im Januar 2024 in Kraft. Es ist das erste PSSA, das von der IMO explizit zum Schutz von Walen vor den Auswirkungen der Schifffahrt ausgewiesen wurde. OceanCare wertet die Ausweisung dieses PSSA als positiven ersten Schritt, hält es aber für ungenügend, dass die damit verbundenen Schutzmassnahmen nur freiwilliger Natur sind.

OceanCare hat die spanische Regierung dabei unterstützt, den spanischen Walmigrationskorridor 2018 als Meeresschutzgebiet (Marine Protected Area, MPA) auszuweisen und 2019 in die Liste der besonders geschützten Gebiete von mediterraner Bedeutung (Special Protected Areas of Mediterranean Importance, SPAMI) der Barcelona-Konvention aufnehmen zu lassen. Als rechtliche Voraussetzung für die letztgenannte Kategorie muss die spanische Regierung einen Managementplan umsetzen, um menschliche Aktivitäten, die das Schutzziel des MPA gefährden, wirksam zu regulieren. Das Schutzziel besteht darin, zahlreichen bedrohten Arten wie Finn- und Pottwalen sichere Nahrungs-, Ruhe- und Wanderungshabitate zu bieten. Das Ministerium für Umweltveränderungen und demografische Herausforderungen (MITECO) ist die zuständige Behörde für die Ausarbeitung des Managementplans, der durch einen öffentlichen Stakeholder-Prozess verfeinert werden soll.

OceanCare und seine Partnerorganisationen fordern die spanische Regierung auf, folgende Massnahmen in den Managementplan für das MPA „Cetacean Migratory Corridor“ aufzunehmen:

  1. Einführung eines generellen Geschwindigkeitslimits von 10 Knoten für alle Arten von Schiffen, einschliesslich Sportbooten, die innerhalb der räumlichen Grenzen des Walwanderkorridors verkehren.
  2. Entwicklung eines Traffic Separation Scheme (TSS) auf der Grundlage einschlägiger wissenschaftlicher und technischer Untersuchungen. Handelsschiffe werden verpflichtet, innerhalb des TSS mit reduzierter Geschwindigkeit im Vergleich zu ihrer normalen Betriebsgeschwindigkeit zu fahren. Der spezifische Prozentsatz der Geschwindigkeitsreduzierung für jede Schiffskategorie wird auf der Grundlage einschlägiger wissenschaftlicher und technischer Untersuchungen festgelegt.
  3. Geschwindigkeitsreduzierung für Fähren, die im Rahmen eines öffentlichen Verkehrsdienstes auf bereits festgelegten Strecken verkehren, verbindlich vorzuschreiben. Diese Reduzierung sollte auf der Grundlage gründlicher wissenschaftlicher und technischer Studien festgelegt werden, mit dem Ziel, das Risiko von Kollisionen so weit wie möglich zu minimieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Qualität ihrer Dienstleistungen nicht beeinträchtigt wird.

OceanCare arbeitet auch mit dem ACCOBAMS-Sekretariat an einem offiziellen Programm, das die Organisation von Workshops mit der Schifffahrtsindustrie und den Hafenbehörden zwischen Herbst 2024 und Sommer 2025 vorsieht.

Konferenz

Im Rahmen der Erstellung des Managementplans für den Walwanderkorridor durch das zuständige Ministerium (MITECO) organisieren die Umweltverbände Alnitak, Client Earth, Ecologists in Action, Greenpeace, GOB Mallorca, Marilles Foundation, Oceana, OceanCare, Save The Med und WWF eine Konferenz in Madrid am 9. Juli 2024 über das Problem der Kollisionen und die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit der Schiffe im Walwanderkorridor zu reduzieren.

Auf der Konferenz werden Vorträge von wissenschaftlichen und juristischen Experten auf diesem Gebiet gehalten. Ausserdem wird es eine Podiumsdiskussion geben, an der Vertreter der Ministerien für ökologische Umstellung und für Verkehr und nachhaltige Mobilität, des Privatsektors und der Zivilgesellschaft teilnehmen werden.

Die Konferenz findet am Dienstag, den 9. Juli 2024 von 9.30 bis 13.30 Uhr im Sitzungssaal der Stiftung für Biodiversität des MITECO (C/ Peñuelas 10, Madrid) statt.

Publikationen

Bildmaterial

Abbildungen zu den Schiffsverkehrsdaten der IMO-Schutzzone im Nordwestlichen Mittelmeer für 2023: