Story

Fischsterben durch Hitzestress im Mittelmeer

Auf das verheerende Fischsterben in der Lagune von Orbetello folgte im Sommer 2024 das grosse Hochwasser in Ost- und Mitteleuropa. Beide Katastrophen haben eine gemeinsame Ursache: das überhitzte Mittelmeer.

Jetzt sind die Spuren beseitigt. In der Lagune von Orbetello hat sich das Wasser in diesen Herbsttagen langsam abgekühlt. Ende Juli 2024 hatte ein grosses Fischsterben apokalyptische Züge angenommen. Die italienischen Medien sprachen wahlweise von „Inferno“ und „Disastro“. Fernsehbilder zeigten ein Meer aus Fischkadavern soweit das Auge reicht. Ungezählte Tonnen Fische, die qualvoll erstickt sind und über viele Tage im Wasser trieben. Zuvor, so heisst es, seien sie auf panischer Suche nach Sauerstoff zu Tausenden an die Wasseroberfläche geschwommen. Doch bei Wassertemperaturen von nie dagewesenen 35 Grad war die Lagune von Orbetello umgekippt. Der reiche Fischbestand des Gewässers, in dem auch viele Aquakultur-Anlagen stehen, hatte keine Chance.

Für die Region wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Der Gestank der Verwesung war kilometerweit bis in den Nachbarorte Feniglia und Ansedonia zu riechen. Auch dort waren die sonst dicht bevölkerten Strände fast leer. Unter grossen Anstrengungen wurden die Kadaver schliesslich zusammengetrieben und entsorgt. Es werde viele Jahre dauern, sagen die örtlichen Fischer, bis die Fischbestände sich erholen, ein Millionenschaden und eine Katastrophe für das Leben in der Lagune.

Naturschutzgebiet mit artenreicher Vielfalt

Nicht nur für die Fischerei, auch für den Tourismus war das ein schwerer Schlag. Die malerische Lagune, unweit von Grosseto, gilt als Perle der Toskana. Ein Badeparadies und Naturschutzgebiet mit mehr als 200 Vogelarten, die im Süss- und Salzwassergemisch der Lagune heimisch sind. Der Strand von Orbetello zählt zu den schönsten ganz Italiens. Doch stinkende Kadaver und Urlaubsfreuden vertragen sich schlecht. Und wer will sich im 35 Grad warmen Wasser noch erfrischen? Die Tourismus-Branche ist alarmiert.

Unmittelbar nach der Katastrophe hatte die örtliche Bürgerinitiative ‚Collettivo Kairós‘ zu einer Protestkundgebung aufgerufen. „Wir wollen die Bürger darauf aufmerksam machen, was mit unserer Lagune passiert ist, ihnen eine Stimme geben“, erklärt Stella Traupe vom Kairos-Kollektiv, „wir müssen das Umweltbewusstsein schärfen“. Mehr als 300 Einwohnerinnen und Einwohner versammelten sich auf der überfüllten Piazza del Plebiscito, um den Rücktritt des gesamten Gemeinderats zu fordern. Ihm wird vorgeworfen, die Katastrophe zu verharmlosen, um den Tourismus nicht zu gefährden.

Das landumschlossene Mittelmeer erwärmt sich schneller

Orbetello war ein Hotspot von vielen am gesamten Mittelmeer. Das landumschlossene Meer erwärmt sich schneller als die grossen Ozeane. Schon vergangenes Jahr wurden Wassertemperaturen im offenen Meer von bis zu 30 Grad gemessen. Und 2024 ist nochmals hitziger.

Auf Sardinien klingelten in den Lagunen von Oristano die Alarmglocken. In Apulien bangten die Fischer um die gesamte Muschelproduktion. Und an fast allen Küstenabschnitten Italiens mussten die Fischer – bei hohen Treibstoffkosten – immer weiter hinausfahren, weil die Fischbestände sich in kühleres Wasser zurückzogen.

Der Copernicus Climate Change Service (C3S) hat jetzt eine vorläufige Analyse des Hitzesommers 2024 vorgelegt. Im Durchschnitt des gesamten Mittelmeers war am 13. August mit dem Spitzenwert von 28,45 Grad der höchste jemals gemessene durchschnittliche Tageswert für die Wassertemperaturen erreicht worden. Einzelne Messpunkte hatten noch deutliche höhere Werte gemeldet.

Wenige Wochen später erlebten vor allem Polen, Tschechien und Österreich eine dramatische Hochwasser-Katastrophe mit vielen Toten. Das Tiefdruckgebiet „Anett“ hatte sich über dem viel zu warmen Mittelmeer mit feuchter Luft vollgesaugt wie ein Schwamm, war nach Norden gezogen und hatte sich sintflutartig entleert. Hochdruckgebiete hatten die weitere Zugbahn in Richtung Ostsee blockiert, so blieb das Tief stationär sitzen.

Der Potsdamer Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf erklärt die Brisanz: „Durch die Tatsache, dass dieses Tiefdruckgebiet lange auf der Stelle stand, kann (der Regen) fast beliebig viel werden, weil es von dem weitaus zu warmem Mittelmeer immer neue Feuchtigkeit heranführt.“ Je höher die Wassertemperaturen, desto mehr Wasserdampf gelangt in die Luft und wird in Regenwolken umgewandelt.

So wurde das Mittelmeer im Hitzestress 2024 nicht nur Fische, sondern für uns Menschen zur tödlichen Gefahr.