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Am Siedepunkt: Die Rekordtemperaturen des Mittelmeers sind ein Warnsignal

23. August 2024

Das Mittelmeer erwärmt sich schneller und stärker als andere Regionen. Als Binnenmeer ist es nicht nur mit steigenden Temperaturen sondern auch mit sinkenden Niederschlägen konfrontiert, was zu trockeneren Bedingungen führt, die die Erwärmung noch verstärken. Hohe Verdunstungsraten haben das Mittelmeer versalzen und die Wärmeaufnahme weiter erhöht. Die Folgen sind verheerend: Lebenswichtige Meeresökosysteme werden gestört, invasive Arten gedeihen und die Fischbestände gehen zurück. Während die globalen Temperaturen in die Höhe schnellen und 2024 auf dem besten Weg ist, das heißeste Jahr aller Zeiten zu werden, ist die zunehmende Hitze im Mittelmeer eine deutliche Warnung vor den weitreichenden und verheerenden Auswirkungen der Klimakrise auf die Ozeane.

Das Mittelmeer ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Hotspot der Klimakrise. Hier erfolgen die Klimaveränderungen schneller und stärker als in anderen Weltregionen. Das gilt nicht nur für die Temperatur, sondern auch für Veränderungen des Niederschlags, was an Land zu mehr Trockenheit führt. Verschiedene Faktoren machen das Mittelmeer besonders anfällig für schnelle Erwärmung: Es ist ein Binnenmeer mit nur geringem Wasseraustausch mit dem großen, kühleren Atlantik. Durch hohe Verdunstungsraten ist es auch salziger. Salzigeres Wasser absorbiert und speichert mehr Wärme. So kann das Mittelmeer in einen Teufelskreis geraten.

Map: Sea Surface Temperature Anomaly in the Mediterranean Sea - July 2024 - Balearic Islands Coastal Observing and Forecasting System (SOCIB)

Rekorde gebrochen

Das Mittelmeer mag zwar zu den am schlimmsten betroffenen Gebieten zählen, aber es ist bei weitem kein Einzelfall. Im Juli und August gab es in weiten Teilen des Planeten brühende Hitze und immer neue Temperaturrekorde, obwohl erst das vorige Jahr bereits eine Rekordhitze gebracht hatte. Laut der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) wird 2024 mit einer Wahrscheinlichkeit von 77% das heißeste Jahr sein, seit es Aufzeichnungen gibt. Ein Beispiel dieser Extremtemperaturen war von Januar bis März im Korallenmeer östlich von Australien zu beobachten. Hier führten die höchsten Wassertemperaturen der letzten 400 Jahre zur schlimmsten bisher bekannten Korallenbleiche im Great Barrier Reef. Korallenriffe ertragen Hitzestress schlecht und so wurden zwischen Januar 2023 und Mai 2024 aus mehr als 62 Staaten weltweit Korallenbleichen berichtet.

Chart: Coral Sea Temperature Anomalies and Mass Coral Bleaching 1620-2020 (Nature)

Auch im Mittelmeer wurden in diesem Jahr Rekorde gebrochen: Am 15. August 2024 betrug die Tagesdurchschnittstemperatur des Oberflächenwassers 28,9°C und übertraf damit den erst am 24. Juli 2023 verzeichneten Rekord von 28,7°C. In der Region zwischen Nizza, Korsika und dem Golf von Genua lagen die Temperaturen sogar um erschreckende 5°C über dem Mittelwert der Periode 1991 bis 2020.

Map: Sea Surface Temperature in the Mediterranean Sea on 16/08/2024 - Source: Copernicus

Was bei diesem Thema oft unbeachtet bleibt, ist die große Wirkung der Meere, die Erwärmung an Land zu dämpfen. Die Meere absorbierten mehr als 90% der seit der industriellen Revolution der Atmosphäre aufgebürdeten Zusatzhitze. Ohne die Ozeane hätten unsere Treibhausgasemissionen bereits die Eiskappen geschmolzen, die Böden zu Wüste gemacht und die Wälder zum Verschwinden gebracht, d.h. die Erde unbewohnbar gemacht.

Verheerende Auswirkungen

Aber sogar die gewaltigen Ozeane haben Grenzen der Belastbarkeit und die Folgen der aufgenommenen Überschusswärme werden immer deutlicher.
Wir beobachten Ökosystemveränderungen und Brüche im marinen Nahrungsnetz. Im gesamten Mittelmeer sind die endemischen Posidonia-Seegraswiesen, Seefächer-Korallen und Pinna nobilis (eine große Muschelart) stark zurückgegangen. Diese Arten bieten vielen weiteren Arten einen Lebensraum und ihr Verlust verursacht einen Dominoeffekt durch das gesamte Nahrungsnetz, mit vielerlei Folgewirkungen, darunter verminderten Fischfangmengen.

Die Temperaturänderungen ermöglichten auch mehr als 1000 eingeschleppten Arten, sich im Mittelmeer invasiv auszubreiten. Diese Arten sind oft konkurrenzstärker als die einheimischen Arten. So macht etwa der Kaninchenfisch heute vier Fünftel des türkischen Fischfangs aus. Andere invasive Arten enthalten Gifte, die für Menschen gefährlich sein können, wenn sie stechen (wie z.B. der Rotfeuerfisch) oder verwechselt und gegessen werden (wie z.B. der Silberkugelfisch).

Die Forschung zeigt auch, dass sich die Verbreitungsmuster verschiedener Arten verändern. So sind Barrakudas und Braune Zackenbarsche, die normalerweise im südlichen Mittelmeer leben, inzwischen weiter nördlich im Ligurischen Meer regelmäßig anzutreffen. Aber in einem Binnenmeer wie dem Mittelmeer gibt es natürlich physische Grenzen für die Anpassung solcher Arten an die höheren Temperaturen und an die Verlagerung ihrer Beutetiere.

Underwater photo: Sphyraena sphyraena - European barracudaGlobal haben die Weltmeere seit den 1960er Jahren zwei Prozent Sauerstoff verloren. Als wesentliche Gründe gelten die zunehmende Erwärmung und die Überdüngung der Meere. Immer mehr marine „dead zones“ treten auf, in denen fast kein Leben existiert. Meist befinden sie sich in Küstennähe, wo die Sauerstoffzehrung am stärksten ist. Im Ostchinesischen Meer hat infolge des sinkenden Sauerstoffgehalts die Population von Harpadon nehereus stark zugenommen. Diese Art bevorzugt Gebiete mit wenig Sauerstoff – hier hat sie einen Konkurrenzvorteil gegenüber den einheimischen Arten, die mit diesen Bedingungen immer schlechter zurechtkommen.

Algenblüten, die auch auf Menschen toxisch wirken können, werden ebenfalls weltweit immer häufiger – eine Schätzung lautet +60% von 2003 bis 2020. Manche dieser Algen produzieren Giftstoffe. So wurde als Auslöser eines massiven Sägerochen-Sterbens vor Florida im vergangenen Jahr eine Vergiftung durch Neurotoxine aus Algen diagnostiziert. Die marine Hitzewelle des Jahres 2023 hatte eine Blüte toxinproduzierender Algen auf dem Meeresboden ausgelöst, die vor allem für Sägerochen fatal war, weil diese ihre Nahrung aus dem Meeresboden stöbern und daher extrem hohen Giftkonzentrationen ausgesetzt waren.

Und nicht zuletzt: Wasser dehnt sich mit steigender Temperatur aus. Der Anstieg des Meeresspiegels hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt und wird bis zum Jahr 2100 voraussichtlich bis zu einem Meter betragen. Dies führt zu Küstenerosion, erhöhter Überschwemmungsgefahr, Verlust von Lebensraum und bedroht Millionen Menschen, die in niedrig gelegenen Küstengebieten leben.

Können wir das Schlimmste noch verhindern?

Überfischung, Schleppnetzfischerei, Verschmutzung, Küstenverbauung, Schiffsverkehr und andere Aktivitäten des Menschen haben die Resilienz der Ozeane bereits ernsthaft geschwächt. Und nun bedrohen Auswirkungen der Klimakrise die Grundlage des Lebens auf unserem blauen Planeten.

Die jüngsten Rekordhitzewellen im Meer sind alarmierend, aber für viele Wissenschaftler:innen leider keine Überraschung. Die Modelle des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) haben schon vorhergesagt, dass diese Phänomene mit der globalen Erwärmung häufiger auftreten, länger andauern und intensiver werden. Die Klimamodelle zeigen auch deutlich, dass in erster Linie der menschliche Einfluss auf das Klimasystem für diese rasche Erwärmung in den letzten Jahrzehnten verantwortlich ist, wenngleich eine Warmphase im Klimazyklus – El Niño genannt – die Temperaturen in den Jahren 2023 und 2024 noch weiter in die Höhe getrieben hat.

Gut geführte Meeresschutzgebiete können viel dazu beitragen, den Stress für die verbleibenden Populationen so weit wie möglich zu reduzieren. Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen sind sich jedoch einig, dass eine sofortige und rasche Senkung der Treibhausgasemissionen der einzige Weg ist, um eine Katastrophe zu vermeiden.

Deshalb bitten wir Sie, liebe Leser:innen, dringend, unsere Petition für das Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe und für ein Verbot der Öl- und Gasexploration zu unterstützen.

Because our planet is blue – und das muss auch so bleiben.