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Der stille Schrei aus der Tiefe: Wie der Tiefseebergbau den Ozean bedroht

08. August 2024

Um die Zukunft des grössten Teils des blauen Planeten wird heftig gerungen. Einige Industrien und Länder drängen darauf, die Tiefsee für die industrielle Ausbeutung zu öffnen. Sie wollen mit dem Abbau bestimmter Mineralien beginnen. Doch es gibt zunehmend Opposition gegen den Tiefseebergbau: Immer mehr Staaten, Wissenschaftler:innen, Naturschützer:innen und Unternehmen versuchen, diese empfindlichen und wichtigen Lebensräume zu schützen. Gemeinsam mit OceanCare können auch Sie die Tiefsee verteidigen.

Einst wurde die Tiefsee als unfruchtbares Ödland betrachtet. Die Entdeckung von Organismen in Bodenproben aus 4 000 Metern Tiefe im 19. Jahrhundert und der Fund eines Plattfisches im Marianengraben durch Jacques Piccard im Jahr 1960 bewiesen das Gegenteil. In der Tiefsee, der grössten Biosphäre der Erde, wimmelt es von unzähligen Arten. Viele davon sind uns noch unbekannt. Während die Anzahl der Meeresorganismen mit zunehmender Tiefe abnimmt, bleibt die Artenvielfalt enorm hoch. Gemäss einem renommierten Archiv wurden bislang rund 30 000 Arten identifiziert – wobei anzunehmen ist, dass es möglicherweise noch Tausende oder sogar Millionen weitere Arten gibt –, darunter Fische, Korallen, Quallen, Kraken, Würmer, Schwämme, Muscheln und Krebse.

Neue Bedrohung für diesen einmaligen Lebensraum

Die ersten 200 Meter des Meeres heissen epipelagische Zone oder einfach „offener Ozean“. Hier lebt ein Grossteil der uns bekannten und für uns sichtbaren Meeresbewohner. Als Tiefsee wird im Allgemeinen jene Tiefe definiert, in der das Licht zu schwinden beginnt, was ab etwa 200 Meter der Fall ist. In Tiefen ab 1 000 Metern herrschen völlige Dunkelheit, eisige Temperaturen und ein immenser Druck. Trotz der schwierigen Bedingungen beherbergt die Tiefsee eine Vielzahl von Lebensformen, was sie zu einer der geheimnisvollsten und am wenigsten erforschten Regionen unseres Planeten macht.

Dieses einzigartige Ökosystem, das rätselhafte Meereslebewesen beherbergt, ist durch eine neue und potenziell äusserst zerstörerische industrielle Aktivität bedroht: den Tiefseebergbau. Beim Tiefseebergbau werden Mineralien und andere wertvolle Ressourcen am Meeresboden abgebaut. Dieser Prozess tangiert Rohstoffe wie polymetallische Knollen, Massivsulfide und kobaltreiche Krusten, die Metalle wie Mangan, Kupfer, Nickel und seltene Erden enthalten.

Die möglichen Auswirkungen des Tiefseebergbaus sind weitgehend unbekannt. Vorhandene Informationen über diese potenziell zerstörerische Tätigkeit haben Wissenschaftler:innen jedoch dazu bewogen, vor dem Verlust der biologischen Vielfalt und vor einer irreversiblen Umweltzerstörung zu warnen. So hat kürzlich eine bahnbrechende Entdeckung offengelegt, dass in der Tiefsee durch einen Prozess in Verbindung mit polymetallischen Knollen selbst in Abwesenheit von Sonnenlicht Sauerstoff produziert wird. Diese Studie fordert unser Verständnis der Sauerstoffproduktion heraus und kann erheblichen Einfluss auf die Bewertung der Auswirkungen des Tiefseebergbaus haben. Im Mindesten macht die Entdeckung die Wissenslücken deutlich, wenn es um die komplizierten Zusammenhänge und um die Funktionsweise der Ökosysteme der Tiefsee geht.

Durch Tiefseebergbau erzeugter Unterwasserläm ist eine grosse Gefahr

In den dunklen Tiefen des Ozeans hängt das Überleben der Meeresbewohner weitgehend von der Akustik ab. Der Bergbau erzeugt im Meer Vibrationen, die sich von der Oberfläche bis hinunter zum Meeresboden fortsetzen. Die für den Tiefseebergbau vorgesehene Technologie umfasst an der Wasseroberfläche treibende Schiffe und Plattformen, die über Leitungen und Pumpen mit am Meeresboden aktiven Maschinen verbunden sind. Damit sind Meerestiere entlang der gesamten Wassersäule von Lärmemissionen betroffen. Lärm im Meer ist gefährlich. Er stört die lebenswichtigen Funktionen, wie die Kommunikation oder die Orientierung der Meerestiere. OceanCare ist deshalb äusserst besorgt hinsichtlich der Lärmbelastung, die durch den Tiefseebergbau unter Wasser generiert würde.

Weltweit wächst der Widerstand

Es gibt derzeit keinen Beweis dafür, dass die Meereswelt wirksam vor den schädlichen Auswirkungen des Tiefseebergbaus geschützt werden kann. Bei Regierungen und Wissenschaftler:innen, in der Zivilgesellschaft, vor allem aber bei Privatunternehmen und im Finanzsektor nimmt der Widerstand gegen den Tiefseebergbau zu.

Die Gegner argumentieren mit Nachdruck, dass die Auswirkungen des Tiefseebergbaus unzureichend erforscht und die Risiken, insbesondere für die Umwelt, inakzeptabel sind. Während Befürworter:innen des Tiefseebergbaus betonen, dass Mineralien aus der Tiefsee für die Wende hin zu sauberer Energie unerlässlich seien, plädieren gegnerische Akteure des Privatsektors für ein Moratorium und schlagen vor, in alternative, weiter verbreitete Materialien zu investieren. Sie befürworten zudem die Entwicklung von weniger schädlichen Metallen, die Erarbeitung von Batterien, die weniger Mineralien benötigen, und die Verbesserung von Recyclingsystemen zur Unterstützung einer effektiven Kreislaufwirtschaft.

Bis August 2024 haben 32 Länder ihre Unterstützung für ein Moratorium, eine vorsorgliche Pause oder ein Verbot des Tiefseebergbaus angekündigt, ebenso taten dies Parlamentarier:innen aus aller Welt, indigene und zivilgesellschaftliche Gruppen, grosse Unternehmen und Finanzinstitute und über 750 wissenschaftliche und politische Experten aus mehr als 44 Ländern.

Das Abkommen zum Schutz wandernder wildlebender Tierarten (CMS), dem 133 Vertragsparteien angehören, teilt die Besorgnis und hat Anfang 2024 eine Resolution verabschiedet, mit der die Vertragsparteien aufgefordert werden, den Tiefseebergbau so lange nicht zu unterstützen, bis ausreichend solide wissenschaftliche Informationen vorliegen, die sicherstellen, dass derartige Aktivitäten keine negativen Auswirkungen auf wandernde Meerestierarten, deren Beutetiere oder deren Lebensräume haben.

Der Internationale Seegerichtshof (ISGH) kam kürzlich zu dem Schluss, dass „die Entwicklung eines wirksamen gemeinsamen rechtlichen Rahmens das Vorhandensein angemessener Informationen über den Zustand der Meeresumwelt auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Kriterien und Methoden voraussetzt“. In Bezug auf den Tiefseebergbau fehlen der internationalen Gemeinschaft solche „angemessenen Informationen“ und wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Tiefsee, was die Schaffung eines wirksamen rechtlichen Rahmens erschwert.

Es braucht ein Moratorium für den Tiefseebergbau

Die Ausbeutung von Tiefseemineralien zu verhindern ist die einzige Möglichkeit, den Ozean und das Meeresleben vor schädlichen und irreversiblen Auswirkungen des Tiefseebergbaus zu schützen. Es wäre unverantwortlich, dieser zerstörerische Industrie freien Lauf zu lassen, bevor die Umweltrisiken vollständig untersucht und erfasst wurden.

Mit ihrer internationalen Petition Because Our Planet Is Blue fordert OceanCare ein weltweites Moratorium für den Tiefseebergbau. Die Petition unterstreicht die Notwendigkeit, die Tiefsee vor industrieller Ausbeutung und Zerstörung zu schützen.

Die Mitglieder der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA), die für die Regulierung der Aktivitäten zur Gewinnung von Bodenschätzen am internationalen Meeresboden zuständig ist, müssen insbesondere aufgrund des derzeitigen Mangels an wissenschaftlichen Informationen, die für eine fundierte Entscheidung erforderlich sind, dem Druck widerstehen, einen unzulänglichen Rechtsrahmen („Mining Code“) zu verabschieden. Und individuelle Staaten sollten davon absehen, den Tiefseebergbau in nationalen Gewässern zu genehmigen.